Update am 31.12.2017 s. unten Eigentlich läuft es für Freifunk generell und auch hier im speziellen im Münsterland oder noch genauer in Lüdinghausen ganz gut (mittlerweile über 125 Knoten in Lüdinghausen). Das Netz wächst und gedeiht. Immer mehr Leute stellen Freifunk-Knoten auf und immer mehr Kommunen bauen Freifunk-Netze in ihren Innenstädten und rüsten Flüchtlingsunterkünfte mir Freifunk aus, so dass es bundesweit mittlerweile einige zehntausend Freifunk-Knoten und ein vielfaches an Leuten, die Freifunk jeden Tag nutzen, gibt. Im Münsterland sind über 3500 Knoten registriert (in diesem Moment sind 3305 online) und aktuell sind über 10000 Leute im Münsterland über Freifunk online. Das besondere dabei ist wahrscheinlich zusätzlich noch: das Ziel mehr freie WLAN-Angebote in Deutschland zu haben wird parteiübergreifend unterstützt. So wurden die Beschlüsse zum Aufbau von Freifunk-Netzen oder zur Unterstützung der ehrenamtlichen Freifunker meist ebenso parteiübergreifend gefasst. Selbst der Beschluss des Nordrhein-westfälischen Landtags wurde überparteilich angenommen.
So könnte und würde es wahrscheinlich weiter gehen: das Netz würde wachsen und immer mehr Leute, die sonst nicht in diesem Umfang am und im Internet partizipieren könnten (wie so oft trifft es hier die sozial Schwachen), könnten Freifunk nutzen.
Doch ab dem 1. Juli 2017 könnte alles anders werden und vielleicht sogar enden. Denn ab dem 01. Juli müssen „Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste“ die wiedereingeführte Vorratsdatenspeicherung umsetzen. Doch zunächst einmal zur Klärung:
Was ist das, Vorratsdatenspeicherung?
Vorratsdatenspeicherung (kurz: VDS) bedeutet, dass Kommunikationsdaten (wer telefoniert mit wem, wo befinden sich die Personen währenddessen, was wird im Internet gemacht usw.) anlasslos, d.h. ohne einen bestimmten Grund, von den Telekommunikationsanbietern gespeichert werden sollen. Je nach Datentyp, müssen diese Daten zwischen 4 und 10 Wochen gespeichert werden und unter Umständen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Daten lassen sich im Nachhinein unter Umständen Bewegungsprofile und soziale Netzwerke aufdecken.
Die jetztige VDS, die bereits am 18. Dezember in Kraft trat aber erst zum 01.07. die Speicherung verpflichtend vorschreibt, ist hierbei schon die zweite Fassung. Die erste deutsche VDS wurde vom Bundesverfassungsgericht 2010 für verfassungswidrig erklärt, da sie gegen Artikel 10 des Grundgesetzes verstieß.
Artikel 10 GG in seiner Urfassung
Doch auch die neue, zweite Version, die mit den Stimmen der großen Koalition beschlossen wurde, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie wieder unser aller Grundrechte verletzt. Ja noch vielmehr: Nachdem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Dezember des letzten Jahres urteilte, dass eine anlasslose Überwachung der Bürger gegen bestehende Rechte verstößt, man könnte auch sagen: „illegal ist“, gehen Experten davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch die neue VDS wieder als verfassungswidrig erklärt wird. Hierunter unter anderem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages! Doch das Urteil ist nicht vor dem 01.07. zu erwarten.
Doch nehmen wir einmal an, die VDS wäre nicht grundgesetzwidrig:
Brauchen wir nicht die Vorratsdatenspeicherung?
Wir leben leider in Zeiten, in denen wir alle paar Wochen wieder von schrecklichen Terroranschlägen hören, wie gerade aktuell der Anschlag in Sankt Petersburg. Gleichzeitig nehmen die Fälle von Internetkriminalität zu. Ist das nicht die VDS das Mittel der Wahl? Leider lassen sich auch mit der VDS keine Terroranschläge verhindern. So wurden auch die Anschläge in Frankreich trotz dort existierender Vorratsdatenspeicherung nicht verhindern, ein Fakt der zunächst auch Bundesjustizminister Maas davon überzeugte, von der VDS abzusehen, um ihr dann nachher doch zuzustimmen. Untersuchungen zur ersten deutschen VDS haben des Weiteren gezeigt, dass diese ineffektiv war. So sank die Aufklärungsquote in den betreffenden Jahren unter anderem bei Internetstraftaten und bei schweren Straftaten.
Hinzu kommt noch, dass jeder, der eine Suchmaschine bedienen kann, relativ schnell herausfinden kann, wie er die Vorratsdatenspeicherung umgeht. Etwas was die Terroristen von IS und Al-Qaida sicherlich machen werden. Hinz und Kunz aber nicht. D.h. es ist wahrscheinlich nur der Ottonormalbürger von dieser Symbolpolitik und ihren einhergehenden Grundrechtsverletzungen betroffen.
Was bedeutet das für Freifunk?
Doch leider noch nicht genug. Freifunk gilt zunächst einmal auch als Telekommunikationsdienst. Unklar ist bisher, ob die VDS im Freifunk-Netz überhaupt umgesetzt werden muss. Die Antwort auf eine entsprechende Anfrage an die Bundesnetzagentur steht hier immer noch aus. Sollte Freifunk auch die VDS umsetzen müssen, würde dies bedeuten, dass eine entsprechende Überwachungsinfrastruktur aufgebaut werden muss und die erhobenen Daten räumlich getrennt und sicher aufbewahrt werden. Hierbei würden nicht nur immense Kosten entstehen, sondern es würde ein erheblich Mehraufwand für Organisation und vor allem Administration anfallen, der von einer ehrenamtlichen Initiative nicht zu stemmen ist. Hinzu kommt, dass die VDS als grundgesetzwidrig erachtet wird und die Motivation der Freifunker sich an diesem Rechtsbruch zu beteiligen gering ist. Natürlich möchten alle die oben beschriebene positive Entwicklung fortführen und es werden daher alle Möglichkeiten eruiert. Doch im schlimmsten Fall könnte bald Schluss sein mit Freifunk.
Was tun?
Was kann man daher noch tun? Einerseits sollte man sicherlich die Verfassungsbeschwerde von Digitalcourage e.V. (vormals: FoeBuD e.V.) unterstützen.
Außerdem ist es an der Zeit an das Gewissen der Bundestagsabgeordneten zu appellieren. Denn nur diesem gegenüber sind sie verpflichtet. Neben der Grundrechteverletzung und der Ineffizienz der Maßnahme sind hier meiner Einschätzung nach noch zwei weitere Punkte zu nennen: der Bundestag ist hier in der Verantwortung und sollte nicht das Politik-Machen dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Vor allem aber muss eingesehen werden, dass die VDS wahrscheinlich in wenigen Monaten als verfassungswidrig erklärt wird, dass sie aber bis zu diesem Zeitpunkt schon einen großen „Kollateralschaden“ verursacht hat, indem Freifunk und einige kleinere und mittelständische Unternehmen die Belastung durch die VDS nicht tragen werden können. Das Mindeste muss es also sein, dass Freifunk von der VDS ausgenommen wird. Ich habe bereits den Bundestagsabgeordneten Karl Schiewerling (CDU), der beiden VDS-Versionen seine Stimme gegeben hat, in seiner Bürgersprechstunde auf die Problematik hingewiesen. Er hat mir zugesichert sich zu erkundigen und sich bei mir zu melden. Ich bin gespannt und werde berichten.
Also sprecht oder schreibt die Bundestagsabgeordneten eurer Wahlkreise an und zeigt ihnen die Bedeutung von Freifunk und die Sinnlosigkeit der Vorratsdatenspeicherung auf!
Update vom 31.12.2017: Es hat sich einiges getan in Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung. Doch leider war ist nicht die Politik, die hier gestalterisch tätig geworden ist, sondern es benötigte erneut der Korrektur durch die Justiz und einer darauf folgenden Reaktion der Bundesnetzagentur. Aber Schritt für Schritt. Der Münchener Provider Spacenet hatte in einem Eilantrag gegen die Speicherpflicht geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte dann am 22.06., dass die Vorratsdatenspeicherung, wie abzusehen, nicht mit den auf EU-Ebene verankerten Grundrechten vereinbar ist. Das Urteil ist nicht anfechtbar. Als Reaktion auf das Urteil entschied die Bundesnetzagentur wenige Tage später, die Speicherpflicht komplett auszusetzen.
Schade, dass die in der alten GroKo vertretenen Parteien nicht den Mut oder den Willen hatten, für den Grundrechteschutz einzutreten. Es wird die nächsten Monate spannend, ob bei einer möglichen weiteren Neuauflage einer GroKo die Parteien einen erneuten – und damit dann dritten Versuch unternehmen werden – eine Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Es steht zu befürchten, dass die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger wieder einer populistischen Sicherheitsrhetorik zum Opfer fallen. Von daher bleibt es wichtig, den kommenden Koalitionären, egal welcher Couleur, deutlich zu machen, dass wir, die Bürger, eine solche Grundrechtsverletzung nicht einfach so hinnehmen werden.
Noch ein paar Anmerkungen zu Freifunk im Münsterland: Freifunk hat sich weiter entwickelt. Zwar hat die Wachstumsgeschwindigkeit abgenommen. Trotzdem hat es weiter eine Zunahme von Knoten gegeben. So sind im Münsterland mittlerweile fast 3700 Knoten online. In Lüdinghausen könnte bald die Marke von 150 Knoten geknackt werden.